Geigenkamm-Tour und Wildspitze in den Ötztaler Alpen

13. - 20. September 1997

Teilnehmer

Mit von der Partie waren diesmal : Thomas Frank, Bernhard und Babett Maier, Konstanze Keller, Joachim Küttner und Lothar Scherm (alle von der DAV-Sektion Chemnitz).

Charakter der Tour / Ausrüstung

Der Geigenkamm ist eine langgestreckte Kammtour von Hütte zu Hütte. Dabei sind die Etappen mitunter recht lang. Dies trifft insbesondere auf die Etappe zwischen Hauerseehütte und Neuer Chemnitzer Hütte und auf den Mainzer Höhenweg zu (wenn man keinen Gebrauch vom Rheinland-Pfalz-Biwak macht). Die Tour stellt mehr als durchschnittliche Anforderungen an den Bergwanderer. So finden sich weglose Geröll-/Blockfelder, Schneefelder, Firn-/Gletscherpassagen, ausgesetzte Kraxeleien und klettersteigartige Felsabschnitte mit Seil- und Kettenversicherungen. Bei der Tourenplanung nicht außer Acht gelassen werden darf der Zeitbedarf, der sich aus dem ständig wechselnden Gelände ergibt. Auf dem Mainzer Höhenweg haben wir die Steigeisen mitunter 4-5 mal am Tag dran- und wieder abgemacht, was in der Gruppe einfach Zeit braucht.

Über die Besteigung der Wildspitze brauche ich diesbezüglich wahrscheinlich nicht viel zu schreiben. Es ist eine nicht sehr schwere aber eben eine ausgeprägte Gletschertour. Also Verlauf großenteils über Gletscher mit zumindest potentieller Spaltengefahr (bei aperen Verhältnissen aber gut einzuschätzen), zum Gipfel hin steiler Firngrat bis ca. 30-40 Grad Neigung, der ein wenig Übung im Gehen mit Steigeisen erfordert, und zur Breslauer Hütte hin ein sehr steiles Firnfeld, in dessen oberem Drittel auch an stabilen Felshaken abgeseilt werden kann.

Wir hatten unter anderem an technischer Ausrüstung für die 6 Personen dabei (und haben die Sachen - bis auf die Eisschrauben - auch benutzt und die Mitnahme nicht bereut) :

13. September 1997, 1. Tag :

Anreise von Chemnitz mit 1 PKW und 1 Kleinbus. Um 5.00 Uhr fahren wir in Chemnitz los und sind nach zügiger Fahrt bei Regen- und Nieselwetter gegen 13.30 Uhr in Köfels im Ötztal. Wir haben uns entschlossen, die Tour von der Ötztaler Seite zu beginnen. Endpunkt soll die Wildspitze mit dem Abstieg über die Breslauer Hütte nach Vent sein, und so ist das im Tal abgestellte Fahrzeug dann besser zu erreichen.

Bei strömendem Rgen machen wir uns an den Aufstieg vom Parkplatz in Köfels zur Frischmann Hütte (Österreichischer Touristenverband, 2240 m). Erst geht es einen Abfahrtshang hinauf, dann in Serpentinen weiter steil bergauf durch den Wald. Nach Erreichen eines Übergangs geht es mal kurz zu einer Alm abwärts und dann nochmal über einen Fahrweg aufwärts zur Hütte. Nach 3:30 h sind wir an der kleinen gemütlichen Hütte. Quartier ist kein Problem (war es auf dieser Tour an keinem Tag) und die Hüttenleute geben sich Mühe, Trockenmöglichkeiten im Treppenhaus für unsere nassen Sachen zu schaffen.

Gehzeit : 3:30 h / Höhenmeter : 920 m

14. September 1997, 2. Tag :

Heute gehen wir den Übergang von der Frischmann Hütte über den Weg 911, über das Felderjöchl (2801 m) zur Hauerseehütte (DAV, 2383m), die eigentlich eine Selbstversorgerhütte ist. Der Weg ist nicht sonderlich schwierig. Nur das Wetter ist noch nicht so blendend. Am Felderjöchl empfängt uns Schneegriesel und Sicht von maximal 100m. Aber auf der anderen Seite des Übergangs wird das Wetter langsam besser. Der Abstieg aus dem Felderjöchl ist allerdings recht steil und bei Schnee oder Vereisung mit Sicherheit unsympathisch. An mehreren Seen vorbei erreicht man via Höhenweg die Hauerseehütte. Dort werden wir vom Hüttenwart, seinem Sohn und einem weiteren Sektionsmitglied empfangen, die gerade dabei sind, die völlig in Unordnung geratene Verdrahtung der Solarstromanlage zu reparieren. Durch die Reparaturarbeiten ist die Batterie ziemlich am Ende, so daß bei jedem Schaltvorgang jemand die Sicherung des Tiefentladeschutzes festhalten muß. Wir können uns häuslich einrichten, bekommen Tee und Suppe gekocht, einen Uzo eingeholfen und dürfen uns trotz unseres Protestes nicht am Abwasch beteiligen. Den Nachmittag verbringen wir mit Baden im Hauersee (der am nächsten Morgen zugefroren ist, ca. 7-8 Grad Wassertemperatur), Fotografieren und Wetterbeobachtungen. Der Wetterbericht hat von nun an schönes und stabiles Hochdruckwetter angesagt für den Rest der Woche, was dann auch tatsächlich so eintritt und uns eine wunderbare Tour bescheren wird. Die Aussicht von der Hauerseehütte über das Ötztal und mit Blick zur Zugspitze ist erstklassig.

Gehzeit : 5:06 h / Höhenmeter : 775 m

15. September 1997, 3. Tag :

Der schöne Sonnenaufgang bestätigt die Wetterprognosen. Der Hüttenwart läßt es sich nicht nehmen, eine Viertelstunde vor uns aufzustehen, zu heizen und Tee und Kaffee zu kochen. Wir kommen uns wirklich nicht wie auf einer Selbstversorgerhütte vor und freuen uns über die Gastfreundschaft auf dieser Hütte.

Früh - kurz nach Sonnenaufgang - gehen wir los, denn die Tour von hier zur Neuen Chemnitzer Hütte ist als lange und anstrengende Tour ausgewiesen. Zunächst geht es über eine Randmoräne zum Hauerferner (Weg 911). Der ist zwar spaltenfrei aber mangels Schneeauflage nur mit Steigeisen zu passieren. Über den Ferner aufwärts gelangt man zum Einstieg des Steigs auf den Luibiskogel (3112m), den Hausberg der Hauerseehütte. Es ist noch früh am Tag und so entschließen wir uns zur Besteigung. In anregender Kraxelei geht es auf den Gipfel, unterwegs mit ein paar Stahlseilen und Steigstiften/Eisenklammern unterstützt. Dieser Abstecher kostet uns ca. 1.5h Zeit - und wir sind am Ende des Tages nicht mehr so ganz sicher, ob dieser Abstecher so schlau war.

Nach dem Abstieg vom Luibiskogel zurück auf den Hauerferner geht es weiter bis in die Luibisscharte (2914m). Vor dem Abstieg hat man uns gewarnt, wir sollen vorsichtig sein und nur alleine absteigen mit hinreichendem Abstand zueinander wegen der Steinschlaggefahr. Der Abstieg durch eine enge Rinne erweist sich dann auch als Abstieg über vereistes, bröseliges Geröll mit Stahlseilversicherungen an einer Seite der Felsen, und wir sind entsprechend vorsichtig. Wir finden uns dann in einem unsortierten Blockkar wieder, das von großen Gesteinsblöcken angefüllt ist. Das Gehen ist recht ermüdend, da die großen Blöcke einen zum Ausweichen, ständigem Auf- und Absteigen, Klettern und Balancieren zwingen. Erst am Sandjöchl (2820m) wird der Weg anders. Von hier denken wir den größten Teil des weiteren Weges überblicken zu können, irren uns aber. Von hier an beginnt ein mehrfaches auf und ab mit Höhenunterschieden von 200-300m. Zunächst Überquerung des Breitlehnjöchl (2639m), dann das Rötkarljöchl (2710m, extrem steiler Serpentinenanstieg mit Kettenversicherungen im oberen Teil) und dann der Aufstieg nach Auf Gawinden (2649m). Von hier aus kann man dann zwar endlich die Neue Chemnitzer Hütte sehen, aber auch, daß der Abstieg sich noch einmal weit ins obere Tal hineinzieht und dann auf der Talsohle zur Hütte zurückkehrt. Nach 11 Stunden sind wir endlich an der Neuen Chemnitzer Hütte (DAV, 2323m) angelangt. Insgesamt ist dieser Hüttenübergang eine extreme Tour, sehr konditionsfordernd durch das 5-malige Überqueren eines Jochs mit darauffolgendem Abstieg in ein Zwischenkar und den daraus resultierenden Höhenunterschieden.

Gehzeit : 11:00 h / Höhenmeter : 1440 m

16. September 1997, 4. Tag :

Nach der Tour vom Vortag sollte es eigentlich ein Ruhetag werden. Aber mangels Alternativen und wegen des schönen Wetters setzen wir uns früh in Richtung Hohe Geige (3395m) in Bewegung. Der Aufstieg über den Normalweg führt zunächst talauswärts und dann über ein Schotterfeld auf eine Felsenrippe. In einem Mittelding aus Gehen und Kraxeln (UIAA 0+) geht es dann immer weiter aufwärts, bis man an einem See und einem Schneefeld unterhalb des Gipfels anlangt. Über einen letzten Anstieg über große Felsenblöcke gelangt man zum Gipfel, zu dem dann noch ein ca. 25m breites steiles Firnfeld zu queren ist. Von hier oben herrliche Aussicht über den gesamten Geigenkamm in südlicher Richtung, Kaunergrat und Stubaier Alpen und natürlich die hohen Gipfel der Ötztaler mit der Wildspitze. Der Abstieg ist bei entsprechender Umsicht (ein Haufen loses Gebrösel auf dem Weg) dann weniger schwierig, als beim Aufstieg angenommen.

Gehzeit : 6:45 h / Höhenmeter : 1055 m

17. September 1997, 5. Tag :

Von der Neuen Chemnitzer Hütte (DAV, 2323m) führt der Mainzer Höhenweg, Teil I zur Rheinland-Pfalz-Biwakschachtel (DAV, 3247m) auf dem Wassertalkogel. Da wir nicht wieder eine solche lange Etappe gehen wollen, haben wir uns eigentlich vorgenommen, dort zu übernachten. Die Biwakschachtel hat aber nur 10 Übernachtungsplätze, wir sind nicht die Einzigen auf der Hütte, die diesen Weg an diesem Tag gehen und in umgekehrter Richtung können ja auch noch Wanderer unterwegs sein. Insofern wollen wir uns die Option offen lassen, zur Braunschweiger Hütte weiterzulaufen, wenn das Biwak belegt ist und brechen entsprechend früh auf. Der Weg 911 zieht sich zunächst von der Neuen Chemnitzer Hütte über eine steile Randmoräne hinauf ins Weißmaurachjoch (2959m). Hier oben beginnt dann der alpine Übergang. Der Weg führt über 4 Felsrippen und 3 Gletscher-/Firnfeldquerungen. Die Auf- und Abstiege an den Felsen sind z.T. klettersteigartig mit Ketten und Drahtseilen versichert und teilweise recht ausgesetzt. Die Gletscherpassagen dazwischen erfordern immer wieder das Anlegen der Steigeisen. Unterhalb des Sonnenkogels legen wir einmal die Steigeisen nicht an, da der Schnee/Firn auf dieser Seite recht flach ist und sich in der Sonne gut gehen läßt. Doch auf der anderen Seite an den Felsen kommen wir wieder in den Schatten, die aufgeweichte Schneeauflage wird dünner und das Schneefeld noch dazu ein wenig steiler. Hier bekommt einer von uns auf Grund seiner nur bedingt geeigneten Schuhe Schwierigkeiten, und wir haben es plötzlich mit einem „beinahe-Bergunfall“ zu tun. Auf dem glatter werdenden Firn gleitet er aus und rutscht ca. 45m abwärts, während wir alle den Atem anhalten. Erst wenige Meter vor einer Gruppe von großen Steinen kommt er wieder zum Stehen. Er hat sich eine Prellung am Bauch und großflächige Hautabschürfungen an den Unterarmen zugezogen. Mit den hastig angelegten Steigeisen und einer Seilsicherung bringen wir erst einmal alle auf die Felsenrippe und betrachten uns die Auswirkungen. Unsere Ärztin und unsere Krankenschwester verbinden den Gestürzten. Zum Glück sind die Verletzungen so gering, daß wir unsere Tour fortsetzen können. Wir haben noch einmal großes Glück gehabt. Nach weiteren 2 Stunden erreichen wir die Biwak-Schachtel, die wir leer vorfinden. Ein Weitergehen wäre heute ohnehin nicht mehr in Frage gekommen. Bei dem Gestürzten macht sich auch so etwas wie ein leichter Schock bemerkbar. Wir machen es uns also in der Biwak-Schachtel gemütlich und beginnen Schnee zu schmelzen und zu kochen. Am Abend bekommen wir noch einen traumhaften Sonnenuntergang an dieser exponierten Stelle zu sehen. Die Aussicht von hier oben ist grandios.

Gehzeit : 7:45 h / Höhenmeter : 1095 m

18. September 1997, 6. Tag :

Mainzer Höhenweg, Teil II. Der Charakter des Weges von hier, dem Rheinland-Pfalz-Biwak / Wassertalkogel (DAV, 3247m) bis zur Braunschweiger Hütte (DAV, 2759m) ist grundsätzlich verschieden von dem gestrigen Wegstück. Heute erwartet uns eine Gratwanderung mit kleineren Kraxeleinlagen, die vielleicht I-er oder II-er Stellen sein können. Der Weg führt mit geringen Höhenunterschieden über eine ganze Kette von kleinen 3000-ern und Jöchln : Gschrapp Kogel (3194m), Wildes Mannle (3063m), Südliches Polles Jöchl (2961m). Unterwegs ein paar Mal Seilversicherungen. Die ganze Zeit bewegt man sich vor der schönen Kulisse der sich zur Wildspitze hinaufziehenden Gletscherwelt. Durch die Kraxelei empfinde ich den Weg als kurzweilig und interessant, auch wenn wir gut 4 Stunden auf dem Grat unterwegs sind. Der Abstieg vom Grat ist dann noch mal was fürs Gemüt - zwar mit Ketten versichert, die aber viel zu lang und daher keine effektive Steighilfe sind. Alles ziemlich bröselig. Dann kurzer Firnanstieg und wir sind im Pitztaler Jöchl (3023m), vom dem aus man die Hütte schon sehen kann. Der Abstieg zur Hütte ist Formsache, und das Bier auf der Sonnenterrasse mit Aussicht auf den Berg der Begierde, die Wildspitze, wartet schon.

Gehzeit : 6:20 h / Höhenmeter : 285 m

19. September 1997, 7. Tag :

Das schöne Wetter hat bis hierher auf die Braunschweiger Hütte gehalten und soll auch noch 2 weitere Tage schön bleiben. Wir wollen eigentlich die Gunst der Stunde nutzen und die Wildspitze besteigen. Aber durch das kleine „Accident“ von vor 2 Tagen wählen 2 von uns auf Grund ihrer Ausrüstung doch lieber den Talabstieg von hier nach Sölden ins Ötztal - auch wenn ihnen die Entscheidung nicht unbedingt leicht fällt (aber sicher die Richtige ist). Wir restlichen 4 beginnen noch bei Dunkelheit den Aufstieg zur Wildspitze. Von der Braunschweiger Hütte über den Kailesferner, den Mittelbergferner, unter der Lifttrasse entlang zum Mittelberg Joch (3166m) und in großen Kehren über den Taschachferner erreichen wir gegen Mittag den letzten Gratanstieg zum Südgipfel der Wildspitze (3770m). Kurze Zeit darauf stehen wir alle 4 am Gipfelkreuz und genießen den uneingeschränkten Rundumblick über die Ötztaler mit Fernsicht bis zum Großglockner/Großvenediger, Dolomiten und Brenta, Ortler und Westalpen. Über das Mitterkar Joch (3468m) erreichen wir mit einer kurzen Abseilstelle (über ein sehr steiles, stark aufgeweichtes Schneefeld) den Mitterkar Ferner und wenig später die Breslauer Hütte (DAV, 2840m).

Gehzeit : 11:06 h / Höhenmeter : 1285 m

20. September 1997, 8. Tag :

Die Tour ist erfolgreich beendet. Das Wetter hat gehalten bis zum Schluß und uns eine wunderbare Woche in den Bergen beschert (den Regen vom 1. Tag verdrängt man natürlich sofort). Heute steigen wir nur noch von der Breslauer Hütte nach Auf Stablein (2356m) ab und fahren mit dem Sessellift hinunter nach Vent. Ein Bus bringt uns retour zu unseren Fahrzeugen in Umhausen im Ötztal, wo wir auch unsere beiden Mitstreiter wohlbehalten wiedertreffen. Gemeinsam gehts zurück nach Hause.

Gehzeit : 1:20 h / Höhenmeter : 10 m


Für die Statistikfreaks : insgesamt wurden von uns während dieser Tour 6905 m im Aufstieg zurückgelegt. Die Angaben über Höhenmeter enthalten jeweils nur die aufwärts gestiegenen Höhenmeter. Nicht aus den AV-Karten zu entnehmende Höhendifferenzen wurden mit einer Avocet Vertech Alpin ermittelt (ohne hier die gern geführte Höhenmesser-Diskussion wieder mit neuer Nahrung versorgen zu wollen).

written by Thomas Frank, 1. Dezember 1997