Mt. Whitney und Mt. Shasta - zwei 4000-er in Californien

Im letzten Jahr verbrachte ich meinen Urlaub im Juni/Juli im sonnigen Kalifornien. Nach anfänglich größerem "Appetit" bei der Planung dieser Reise merkte ich recht schnell, daß auf Grund der großen räumlichen Entfernungen freiwillige Selbstbeschränkung notwendig wurde - so wurde der Grand Canyon und der Grand Arches National Park wieder aus dem Programm gestrichen, und ich begab mich auf eine 3-wöchige Rundtour von 4000 Meilen durch die schönsten Teile Kaliforniens. Auch wenn das Programm einige rein touristische Ziele mit umfaßte, so durften die Berge doch nicht fehlen.

Nach dem Start in Reno im Bundesstaat Nevada war mein erstes Ziel mit längerem Aufenthalt der Yosemite National Park in der Sierra Nevada. Dieser Nationalpark ist unter Fels-, Sport- und Extremkletterern weltbekannt geworden wegen seiner extrem hohen und zum Teil bizarr geformten Granitwände, die Klettertouren mit über 1000m Wandlänge in einer breiten Skala von Schwierigkeitsgraden ermöglichen. Aber auch für den eher am Bergwandern interessierten Besucher hat das Yosemite Valley eine Menge zu bieten - Beeren und Bären, markierte Wanderwege von einigen Stunden bis hin zu Tagen und Wochen in einer einmaligen, von eiszeitlichen Gletschern geprägten Landschaft in 2000-3000m Höhe sowie herrlich klare Seen und weitgehend unberührte Natur im Hinterland (Backcountry) des touristisch stark frequentierten Yosemite Valleys.

Während meines Aufenthaltes unternahm ich zunächst einige kleinere Wanderungen im Yosemite Valley selbst - voller Bewunderung für die steil aufragende Felsenszenerie - und in der Nähe der Tioga Road - einer alpinen Hochstraße, die vom Yosemite Valley aus nach Osten die Sierra Nevada überquert. Der Abschluß meines Aufenthaltes im Valley sollte die Besteigung des Half Domes (2682m) sein. Der Half Dome ist einer der großen Granitfelsen, die das Bild vom Yosemite Valley maßgeblich prägen. Er ragt am Talschluß steil auf und wendet der Talseite sein markantes Profil zu mit der an der einen Seite steil abfallenden, glatten Big Wall und dem eher runden Rücken an der anderen Seite. Diese runde Rückseite des Half Dome bietet die Möglichkeit, auf einem alpinen Wanderweg und einem abschließenden versicherten Klettersteig den Gipfel des Felsens auch ohne extreme Felskletterei zu erreichen. Der ausgebaute Weg beginnt am hinteren Talende und steigt zunächst über 2 Steilstufen an. Dort kommt man auch an 2 sehr eindrucksvollen Wasserfällen vorbei - dem Vernal und dem Nevada Fall, die beide eine Fallhöhe von mehr als 30m haben. Zunächst entlang des Bergbaches, dann über staubige Pfade durch Kiefernwälder führte mich der Weg in Serpentinen bis auf 2 mächtige Granitbuckel, die dem Anstieg zum Half Dome vorgelagert sind. Hier beginnt der sogenannte Cable Trail - ein mit 2 Stahlseilen in Hüfthöhe versicherter, steiler Klettersteig, der über ziemlich glatten Fels auf den Gipfel des Half Dome führt. Ich mußte mich allerdings an diesem Tag nach ca. 1/3 des Cable Trails geschlagen und mit der auch sehr schönen Aussicht vom Vorgipfel des Half Domes auf das Yosemite Valley zufriedengeben.

Mein nächstes alpinistisches Ziel nach einem Kurzaufenthalt im Sequoia Nationalpark war der Mt. Whitney Trail im Kings Canyon National Park auf der Ostseite der Sierra Nevada. Dieser Höhenweg war mir schon bei den Vorbereitungen zu meiner Reise in der Reiseführerliteratur aufgefallen. Meist war er als relativ einfach zu begehender Weg auf den höchsten Berg der zusammenhängenden USA-Bundesstaaten (ohne Alaska und Hawaii) beschrieben - allerdings mit der Einschränkung, daß die Nationalparkverwaltung täglich nur 72 Erlaubnisscheine für die Begehung dieses Trails ausgibt und deshalb lange Vorbestellungszeiten auf den Mt. Whitney Trail vorherrschen (ein Zustand, der uns in den Alpen bitte noch so lange wie möglich erspart bleiben möge). Leider war es mir von Deutschland aus auch nicht mehr gelungen, telefonisch eines der so heiß begehrten Wildernis Permits zu bekommen und so hoffte ich, einen der wenigen Erlaubnisscheine zu bekommen, die am jeweiligen Vortag von ihren Besitzern nicht in der Ranger-Station abgeholt werden. Mit einmaligem Frühaufstehen und einem bißchen Glück konnte ich jedoch einen der Erlaubnisscheine ergattern, obwohl 4 Amerikaner auf Nummer sicher gegangen waren und die Nacht gleich auf der Matte vor dem Eingang zur Ranger-Station in Lone Pine verbracht hatten.

Mit dem für 2 Tage gepackten Rucksack machte ich mich also vom Mt. Whitney Portal (2136m) aus an den Aufstieg, der zunächst wieder durch heiße und trockene Kiefernwälder verlief. An mehreren klaren, kalten Seen vorbei erreicht man bei ca. 2500m die Baumgrenze und tritt in eine bizarre Felsenlandschaft ein. Durch seine strikte Ost-West-Ausdehnung gestattet das Tal, durch das man aufsteigt, die ganze Zeit einen schönen Ausblick auf das Owens Valley mit dem Städtchen Lone Pine und auf die dahinter in östlicher Richtung aufragenden Gebirgskämme, hinter denen sich das Death Valley verbirgt. Mit zunehmender Höhe wurden die Temperaturen erträglicher und bei 3300m Höhe war mit dem Mirror Lake zunächst auch das Tagesziel erreicht. Hier befindet sich einer der möglichen Übernachtungsplätze, die von den Rangern zum Zelten freigegeben sind. Nach einer im Zelt gut verbrachten Nacht machte ich mich in netter Begleitung eines Musiklehrers aus Lone Pine, der ein sehr angenehmes, gleichmäßiges Tempo ging, an den weiteren Aufstieg zum Gipfel des Mt. Whitney, der zunächst über einen "99 Loop Trail" (99 Serpentinen) steil nach oben führt. Am Trail Crest - einer Wegekreuzung, wo mehrere Höhenwege auch aus dem westlichen Teil des Kings Canyon Nat. Park zusammenlaufen, verabschiedeten wir uns dann voneinander - er war wohl auf der Suche nach Bergkristall oder Mineralien und bog querfeldein vom Weg ab. Von hier aus ist der Gipfel des 4418m hohen Mt. Whitney schon fast in greifbarer Nähe. Im Gegensatz zur Ostseite, wo der Mt. Whitney in einer steilen, schroffen Felswand abbricht, bildet die Westseite vom Trail Crest aus eine flachere Schotter- und Blockpyramide, die mit hinreichender Kondition und gut akklimatisiert leicht zu ersteigen ist. Nach ca. 1 1/2 weiteren Stunden stand ich dann auf dem Gipfel und konnte bei allerbestem kalifornischem Wetter eine totale Rundum- und fantastische Fernsicht (geschätzt ca. 150 km Sicht) über die Sierra Nevada und das vorgelagerte Gold Country in westlicher sowie über 4-5 Höhenzüge in östlicher Richtung bewundern. Den Abstieg absolvierte ich dann auch wieder mit einer Übernachtung am Mirror Lake, obwohl es theoretisch möglich gewesen wäre, noch am selben Tag bis zum Whitney Portal abzusteigen. Aber eine Übernachtung in 3300m Höhe hat eben auch ihre Reize, und ein sofortiger Abstieg hätte mich auch nur vor unnötige logistische Probleme bei der Suche nach einem Schlafplatz in Lone Pine gestellt.

Die dritte Unternehmung in diesem Urlaub sollte die Besteigung des Mt. Shasta (4316m) in den Cascade Mountains im nordwestlichen Kalifornien, fast schon an der Grenze zum Staat Oregon, werden. Dieser Berg war für mich besonders interessant, da der Mt. Shasta ein auf einer Hochebene sich frei erhebender Doppel-Vulkan ist (Nebengipfel Mt. Shastina), dessen Gipfel eine gute Rundumsicht versprach. Außerdem wird der Mt. Shasta noch als aktiver Vulkan gezählt, auch wenn heutzutage nur die heiße Schwefelquelle unter dem von Schnee und Eis bedeckten Gipfel von geothermischer Aktivität zeugt.

Ausgangspunkt für den Aufstieg war der kleine Ort Mt. Shasta City am U.S. Interstate Highway 5. Ich kam am späteren Abend in dem Ort an und fragte mich zunächst zur örtlichen Ranger- Station durch, um die Modalitäten zur Erlangung eines Wildernis Permits zu erfragen. Dies erwies sich jedoch in diesem Fall als problemlos. Im Gegensatz zum Mt. Whitney, wo das Buch mit den Erlaubnisscheinen gehütet wird wie der heilige Gral, konnte sich in Mt. Shasta City jedermann sein Wildernis Permit zu jeder beliebigen Tag- oder Nachtzeit an einem Stand unter freiem Himmel selbst ausschreiben. Lediglich ein Abschnitt mit der geplanten Tour und dem voraussichtlichen Rückkehrdatum mußte in einer Box deponiert werden. Bei dieser Beschäftigung lernte ich dann auch noch einen Deutschen kennen (nachdem wir uns fast 10 Minuten in gebrochenem Englisch verständigt hatten), der dasselbe Ziel wie ich hatte und wir einigten uns darauf, die Tour gemeinsam zu gehen.

Am nächsten Morgen besuchte ich zunächst noch auf Ratschlag der Ranger den örtlichen, gut ausgestatteten Alpin-Laden und lieh mir dort Steigeisen und Eispickel, da beim Aufstieg mit steilen Schneefeldern zu rechnen war, und fuhr dann zum Beginn des Weges nach Bunny Flat Trailhead (2136m). Hier begann nun der Aufstieg mit vollem Rucksack über die Shasta Alpin Lodge - eine Hütte des Sierra Clubs für Notfälle und mit der letzten Trinkwasserstelle - durch ein System von Rinnen in sehr leichtem, steilen Schuttgestein zum Helen Lake (ca. 3200m). An diesem zugefrorenen und schneebedeckten See befand sich wieder das Zeltlager mit bereits "vorsortierten" Steinrondellen für die Zelte. Der Rest des Tages verging mit der Trinkwasseraufbereitung, dem Genießen der noch schönen Aussicht und der Beobachtung eines sich in ca. 30 km Entfernung entwickelnden Waldbrandes, der mit seiner Rauchwolke langsam den Horizont verdunkelte.

Früh am nächsten Morgen brachen ich und mein neu gewonnener Begleiter zum Gipfel auf. Im ersten Teil führte der Weg senkrecht zum Hang ca. 600m über ein nach oben zu steiler werdendes Schneefeld zu einem roten Felsriegel hinauf (Red Banks). Durch eine Rinne gelangten wir auf dieses Felsband und überquerten einen Hügel (Misery Hill) aus tiefschwarzem, leichten und bei jedem Schritt hell klirrenden Bimsstein. Über ein flaches Schneefeld ging es dann zum Gipfel des Mt. Shasta, der offenbar als der alte lavagefüllte Schlot sich noch einmal ca. 75m aus dem Gipfelplateau erhebt. Leider hatte der Waldbrand vom Vorabend die Sicht durch eine Smogwolke zum Teil eingeschränkt.

Nach ausgiebiger Gipfelrast machten wir uns gegen Mittag auf den Rückweg. Besonders begeisterte uns dabei der "Abstieg" über das Schneefeld. Die Sonne hatte die Oberfläche aufgeweicht und jetzt sah man von oben auch die Rinnen, die unsere Vorgänger beim Abfahren hinterlassen hatten. Anfangs noch zögerlich aber mit zunehmendem Spaß an der Geschwindigkeit rutschten wir in nur einer knappen halben Stunde das gesamte Schneefeld hinunter und waren richtig enttäuscht, daß wir im unteren flacheren Teil mit den Pickeln zusätzlich Schwung holen mußten. Durch den schnellen Abstieg entschlossen wir uns dann auch, die Zelte am Helen Lake sofort abzubauen und noch am selben Tag ganz nach Mt. Shasta City abzusteigen, wo wir nach ca. 3 1/2 Stunden recht staubigen Abstiegs über Vulkanschuttfelder und durch Kiefernwald auch wohlbehalten ankamen.

So hat mir die Reise ins "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" neben vielen touristischen auch eine Reihe interessanter alpinistischer Eindrücke gewährt. Und wenn die Umstände es zulassen, wird es wohl auch nicht die letzte Reise dieser Art gewesen sein.

Th. Frank , 5. Juli 1995